Samstag, 8. September 2012

Rauchen ist unfair.


Wir kennen Schokolade, Kaffee, Tee, Schnittblumen und eine ganze Palette weiterer Produkte mit Fairtrade-Siegel. So gelabelte Produkte haben es aus dem Eine-Welt- über den Bioladen in die konventionellen Discounter geschafft. Ihr Marktanteil ist immer noch sehr gering. In der Schweiz stammt rund die Hälfte der verkauften Bananen aus Fairtrade-zertifiziertem Anbau, in Deutschland liegt der Marktanteil bei weniger als einem Prozent. Das stärkste Fairtrade-Produkt in Deutschland sind derzeit Rosen mit einem Marktanteil von 4 Prozent. Trotzdem, der Umsatz von Fairtrade-Produkten wächst.
Neben Kaffee, Kakao und Baumwolle fehlt da aber doch ein Gewächs, welches in unseren Klimaten nicht produziert aber in hohen Maßen konsumiert wird. Wieso gibt es keinen Fairtrade-Tabak? Wieso gibt es für die „gewissenhaften“, sozio-ökologisch korrekten LOHAS-Nikottinsüchtigen keine wahre Alternative zu Marlboro, Lucky Strike, Nil et cetera? Oder, anders gefragt, warum geben sie sich zufrieden mit der „Öko“-Alternative unbehandelten Tabaks à la American Spirit? Wieso schreien sie nicht nach ökologischen und sozialen Standards für ihr tägliches Genussmittel?

RaucherInnen sind ja ohnehin schon von permanentem schlechtem Gewissen geplagt, wissen sie doch, dass sie mit der Qualmerei sich und ihren Mitmenschen gesundheitlich schaden. Sie wissen auch, dass es der Atmosphäre nicht an CO2 und Luftschadstoffen mangelt. Sich dann auch noch der Bürde der sozialen und ökologischen Konsequenzen seines inhalativen Konsums anzunehmen, ist da natürlich eine große und unangenehme Herausforderung.

Der Siegeszug des Tabaks beginnt im Jahre 1492 mit der Entdeckung der neuen Welt als Expansionsfeld für europäische Interessen. Kolumbus berichtete erstmals vom Tabakrauchen, und schon bald sollte das indianische Genussmittel sich steigender Beliebtheit auf dem alten Kontinent erfreuen.
Etwa 120 Jahre später fusste ein großer Teil der amerikanischen Kolonialwirtschaft auf dem lukrativen Tabakgeschäft. Im Jahre 1617 wurden noch 9 t Tabak aus Virginia nach England verschifft, bereits 10 Jahre später waren es schon über 500 t. In den englischen Kolonien Amerikas baute bald der Großteil der Farmer Tabak an.
Verglichen mit den meisten Nahrungsmittelpflanzen entzieht Tabak dem Boden allerdings etwa zehnmal so viel Stickstoff und dreißigmal soviel Phosphor. Das damit einhergehende Problem, dass jede neu erschlossene Fläche bei intensiver Bewirtschaftung nur 3-4 gewinnträchtige Ernten erlaubte, trieb in Amerika nun die Landeinnahme und gewissermaßen die Ausdehnung gen Westen an. Boden war billig. Die Arbeitskraft kam aus der Sklavenwirtschaft. Somit war für die Farmer nur Kapital ein limitierender Faktor. Großplantagen etablierten sich bei gleichzeitiger Verdrängung von Kleinbauern. Die Zahl der Bauern schrumpfte, die Größe der privaten Besitztümer stieg. Ermüdete Böden blieben zurück - eine Einladung an Erosionserscheinungen.

Heute sind die Flächen in den USA längst bis zur Westküste in Privateigentümer aufgeteilt; das Sklavengeschäft ist weder wirtschaftlich noch ethisch tragbar. Außer an den Anbaugebieten hat sich bis dato dann aber doch nicht so viel in der Tabakwirtschaft geändert. Phillip Morris, British American Tobacco, Reemtsma (übrigens viertgrößter Anbieter auf dem internationalen Tabakmarkt, Firmensitz: Hamburg) wirtschaften heute intensiv in Asien, Südamerika und Afrika; dreiviertel der weltweiten Produktion geschieht hier. Der enorme Produktionsschub in diesen Ländern ist das Ergebnis der Tabakanbauförderung durch die Zigarettenindustrie.

Tabakanbau verdrängt in einigen afrikanischen Ländern wie zum Beispiel Malawi oder Simbabwe zunehmend den Nahrungsmittelanbau, so dass die Bevölkerung dort verstärkt auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen ist.
Selbstverständlich ermüdet sich der Boden auch hier. Es ist kurzfristig wirtschaftlicher neue Flächen urbar zu machen, als in die Bodenqualität bestehender landwirtschaftlicher Flächen zu investieren. Beispielsweise hat sich Tansanias Waldbestand in den letzten 50 Jahren halbiert. Folge auch der Rodung für neue Tabak-Anbauflächen und der Suche nach Feuerholz, mit dem die braunen Blätter getrocknet werden. Das Hartholz aus den Miombowäldern ist wegen seiner hohen Rauchentwicklung dafür besonders geeignet. Um ein Kilogramm Tabak zu trocken, werden rund 160 kg Holz verbrannt. Pi mal Daumen kann man sagen, dass ein durchschnittlicher deutscher Raucher damit alle drei Monate einen Tropenbaum vernichtet.
Fortgesetzte Landnahme für den Tabakanbau in anfälligen Ökozonen und das Schlagen vieler Bäume für das Trocknen des Tabakblattes bewirken zusammen eine Umweltveränderung mit globalen Auswirkungen.
Die meisten RaucherInnen ahnen nicht, wie sie Arm in Arm mit der Tabakindustrie die Natur der Subtropen zerstören. Jedes Jahr fallen dort etwa 1,2 Millionen Hektar Waldland dem Tabakanbau zum Opfer, hat die Weltgesundheitsorganisation errechnet.
Für die Tabakindustrie ist das ein lukratives Geschäft. Um ihre Gewinne zu maximieren, im vorletzten Jahr (2010) betrugen die Gewinne der vier größten Konzerne 12 Milliarden US-Dollar, wirtschaften sie genauso wenig nachhaltig wie vor 400 Jahren, und zwar dort, wo Boden und Arbeitskraft billig sind. Landschaften werden monokultiviert, wichtige Biotope zerstört, Böden degradiert und erodiert und Menschen ausgenutzt. Das Tabakpflanzen und die Ernte erfolgen in mühsamer Handarbeit, beim Pflücken aufgenommenes Nikotin und Pestizide ruinieren die Gesundheit der Plantagenarbeiter. Die Arbeitsverträge sind eine Farce, sie bieten keinerlei Sicherheiten und treiben Farmer in den Schuldenkreislauf.
Deshalb schreibt Transfair dazu in den FAQ ihrer Internetpräsenz zurecht: „Tabak kann weder aus sozialer noch aus gesundheitlicher oder ökologischer Sicht als ethisch vertretbares Produkt bezeichnet werden und kommt deshalb für Fairtrade grundsätzlich nicht in Frage.“

Für RaucherInnen gibt es damit also nicht nur kein Bio, es gibt auch kein Fairtrade außer mensch baut sich den Tabak selbst an. Besiegelt „fair“ rauchen kann zumindest, wer sich Organic Yuma besorgt. Dieser verfügt über ein Fairtrade-Siegel, vergeben durch die schweizerische IMO GmbH mit deutschem Sitz in Konstanz, welche sich allem Eindruck nach eher für Konsumenten- als für Produzenteninteressen einsetzt.

So wie mich vor allem ökologische Gründe im Fleischkonsum zügeln, mögen die genannten Fakten vielleicht ein paar RaucherInnen, die die gesundheitlichen Risiken bisher nicht vom Rauchen abhalten konnten, überzeugen und zum Leben ohne Kippe bewegen.

Hoffnungsvoll, Carsten Beneker


2 Kommentare:

eule hat gesagt…

Guter Text und wohl bisher ein Tabu Thema... In diesem Sinne: Zieht euch das rein.
Ich frage mich zudem, wann der extrem geschröpfte Tropenwald denn jetzt langsam mal aufgibt...

christian von hamburg hat gesagt…

"rauchen ist unfair" - vor allem gegenüber dem der neben dir steht .

Mir gefällt der Text auch gut. freut mich das du dich so intensiv mit diesem thema beschäftigt hast. hab was gelernt.
mit dem fleischverzicht kriegste schon hin, vor allem in Berlin!